Der schwächelnde Standort Deutschland bereitet auch Anlegern Sorgen – bei diesen Punkten drückt der Schuh am meisten
„Die Welt wächst – Deutschland schrumpft“ oder „Der deutsche Wohlstand ist in Gefahr“ lauteten in jüngster Zeit Überschriften in politischen Tageszeitungen. Von Deindustrialisierung und Standortproblemen wird geschrieben. In die gleichen Kerben schlagen Umfragen bei Unternehmen zum Standort Deutschland. Die Analysten der Deka Bank haben genauer hingeschaut und nennen in einer Studie die Hauptproblemfelder gemessen an den neun typischen Säulen der Standortqualität.
Der mediale Startschuss für die Frage nach dem Standort Deutschland fiel mit der Veröffentlichung der IWFPrognose im Juli. So richtig die Diskussion um die Standortschwächen Deutschlands ist, so falsch war der Anlass, schreibt die Deka Bank in einer aktuellen Publikation. Denn wie es weiter heißt, wurden hier strukturelle Probleme mit einer konjunkturellen Schwäche verwechselt.
Die eigentliche Misere Deutschlands kommt laut Studienautor Andreas Scheuerle, Leiter Industrieländerkonjunktur und Branchenanalysen bei der Deka Bank,.in den Schätzungen zum Produktionspotenzial zum Ausdruck. Dieses gibt an, mit welchem Tempo die deutsche Volkswirtschaft bei Normalauslastung aller Produktionsfaktoren mittelfristig wachsen kann. Vor zehn Jahren lag das Potenzialwachstum bei rund 1½% aktuell wird es auf ¾% geschätzt. Das ist sogar noch weniger als vor knapp 20 Jahren und den Agenda-Reformen. Damals wurde Deutschland als kranker Mann Europas bezeichnet.
Dass der deutsche Standort mit einigen Problemen zu kämpfen hat, war schon lange bekannt. Hohe Arbeits-und Energiekosten, hohe Steuern oder Arbeitskräftemangel sind nur einige Aspekte, die in den letzten Jahren Aufmerksamkeit erfuhren.
Eine transatlantische Umfrage
Dass etwas mit dem Standort Deutschland im Argen liegt, deutet eine Umfrage der Amerikanischen Handelskammer bei deutschen und US-amerikanischen Unternehmen an. Diese sollten den jeweils anderen Standort beurteilen. Das Ergebnis ist genauso eindeutig wie ernüchternd, so die Deka Bank. Während nur 34% der US-Unternehmen den Standort Deutschland für sehr gut oder gut einschätzen, fällt das entsprechende Urteil der deutschen Unternehmen für die USA mit 74% um Klassen besser aus.
Interessant ist auch die dramatische Verschlechterung der US-Sicht auf Deutschland. Im Jahr 2022 sahen nur 8% der US-Firmen Deutschland als weniger guten oder schlechten Standort an, heute sind es schon 38 %. Es scheint, als ob der Krieg in der Ukraine den Staub, der sich in den letzten beiden Dekaden durch das Nichtstun über die deutschen Strukturprobleme gelegt hat, mit einem Mal weggewischt hat. Zu lange erntete man die Früchte der Agenda-Reformen, ohne neu zu säen.
Beurteilung des jeweils anderen Standorts durch deutsche bzw. US-amerikanische Unternehmen
In dieser Umfrage wurde zudem die Einschätzung zu zahlreichen Standortkriterien abgefragt. Um die komparativen Vorteile der Standorte zu ermitteln, haben wir zunächst die Salden aus positiver und negativer Einschätzung in den beiden Ländern gebildet, und dann die Differenz daraus ermittelt. Negative Werte zeigen einen Vorteil Deutschlands, positive Werte einen Vorteil der USA an an.
Deutschland punktet danach bei der Qualität der Arbeitskräfte und der Zuliefernetzwerke sowie bei der Visaerteilung, der Verlässlichkeit der Politik und der Marktoffenheit. Die USA zeichnen sich aus einer Kombination aus geringeren Kosten, geringeren Steuern, einer geringeren Regulierung sowie der Qualität der digitalen Infrastruktur aus.
Standortvorteile USA und DEU (Saldenpunkte)
Deka-Standortanalyse
Nachfolgend nehmen die Studienautoren einen eigenen Standortvergleich nicht nur anhand umfangreicher Kriterien, sondern auch für eine große Anzahl an Ländern vor. Analysiert wurden für 63 Länder neun Säulen der Standortqualität: Forschung, Digitalisierung, Infrastruktur, Energie, Arbeitsmarkt, Steuern, Politik, Marktgröße und Finanzsektor. Jede einzelne Säule ist wiederum mit einer Mehrzahl von Indikatoren unterfüttert. Los geht es mit den Säulen auf der Sonnenseite Deutschlands, bevor man Stück für Stück zu den Schattenbereich kommt. Dabei beschränkt sich die Deka Bank in ihrer Publikation auf eine überblickshafte Standortbestimmung, ohne auf die einzelnen Subindikatoren detailliert einzugehen.
- Politik und Verwaltung
Unternehmen schätzen stabile politische Rahmenbedingungen, die frei von Willkürgefahren und effizient sind. Dies schafft Planungssicherheit für unternehmerische Investitionen. Wir schauen hierfür auf die Governance Indikatoren der Weltbank, auf den Freiheitsindex, der anhand zahlreicher Sub-Indikatoren, den Freiheitsgrad von Staaten misst, und auf das geopolitische Risiko. In dieser Säule punktet Deutschland. Einzig mit Blick auf das gestiegene geopolitische Risiko schneidet Deutschland schlechter ab als die USA und China. Insgesamt liegt Deutschland mit knapp 80 Punkten auf einem guten 14. Platz, klar vor den USA (Rang 21; 69,2 Punkte) und deutlich vor China (Rang 57; 13,2 Punkte).
- Finanzsektor
Unternehmen benötigen Fremdkapital, um Produktionsanlagen zu errichten oder zu erneuern, neue Produkte oder Produktionsverfahren zu entwickeln oder zur Zwischenfinanzierung von Vorleistungen oder der Ausfuhr von Gütern. Ein gut funktionierender Finanzsektor ist damit von herausragender Bedeutung. Dabei geht es sowohl um die Versorgung mit Finanzdienstleistungen durch Banken, als auch um die Finanzierung durch funktionierende Kapitalmärkte. Der Finanzsektor ist hierzulande ein stark stabilisierender Faktor. Deutschland schafft es mit 76,6 Punkten immerhin auf Rang 17. Die USA liegen mit 97 Punkten auf Rang 2, China mit 69,1 Punkten auf Rang 24.
- Forschung
Technischer Fortschritt ist die Mutter des Wirtschaftswachstums, des Wohlstands und auch der Lösung von Problemen wie dem Klimawandel. Technischer Fortschritt fällt aber nicht wie Manna vom Himmel, sondern ist das Ergebnis von Forschungsaktivitäten. Die Basis für den Forschungserfolg ist eine gute Schulbildung, weshalb wir die PISA-Studien berücksichtigt haben.
Daneben spielen die Anzahl der Forscher und die Ausgaben für Forschung und Entwicklung eine wichtige Rolle. Der Forschungserfolg lässt sich schließlich an Patenten oder Publikationen in Schlüsseltechnologien wie der Künstlichen Intelligenz ablesen. All dies fließt in die Säule Forschung ein. Deutschland zeigt sich hier mit Rang 5 von seiner starken Seite, erreicht aber nur einen Score von 61,7 Punkten. Die wichtigsten Standortkonkurrenten, China und die USA, liegen deutlich vor Deutschland auf den ersten beiden Plätzen (Scores von 100 bzw. 93,7 Punkten).
- Marktgröße
Eine Standortwahl kann unter Input- oder Output-Gesichtspunkten erfolgen. Bei ersteren steht die Frage nach der Möglichkeit einer kostengünstigen und sicheren Versorgung mit Vorleistungen im Vordergrund. Unter Output-Gesichtspunkten fokussieren die Unternehmen auf die Absatzmöglichkeiten. Wenn deutsche Unternehmen über China sprechen, dann verweisen sie zumeist als erstes auf die Größe des Marktes. Eine hohe Wirtschaftskraft und eine große Bevölkerung lassen sie auf eine rege Inlandsnachfrage hoffen. Dank des Europäischen Binnenmarktes schafft es Deutschland mit 50,5 Punkten auf Rang 4 und liegt damit nur knapp hinter den USA (55,2 Punkte). Dieses Ergebnis können sich allerdings auch die anderen EUStaaten auf ihre Fahne schreiben. Unangefochtener Spitzenreiter ist China.
- Infrastruktur
Neben den offensichtlichen Defiziten bei der digitalen Infrastruktur rückt in Deutschland zunehmend auch die analoge Infrastruktur in den Fokus. Für die Unternehmen ist dabei die Verkehrsanbindung von entscheidender Bedeutung. Vorprodukte müssen an- und Fertigprodukte ausgeliefert werden. Dabei geht es nicht nur um die Qualität der Verkehrswege, sondern auch um die Vernetzung der Verkehrsinfrastruktur. So ist beispielsweise ein Flughafen, der nur wenige Destinationen bedient, weniger wertvoll als ein gut vernetzter. Die Berichte über marode Brücken, den Investitionsstau bei der Bahn oder Probleme in der Binnenschifffahrt lassen schnell Zweifel am Standort Deutschland aufkommen. Doch im internationalen Vergleich schneidet Deutschland mit Platz acht überraschend gut ab. Allerdings ist der Abstand zu den Top-Nationen China (Platz 1 mit 100 Punkten) und USA (Platz 3 mit 63,8 Punkten) mit einem deutschen Wert von 47,0 Punkten (Rang 8) deutlich. Die Substanz ist offensichtlich noch vorhanden, verschlechtert sich aber zusehend. Man lebt sprichwörtlich von der Substanz, weil seit langem zu wenig investiert wurde und wird.
- Digitalisierung
Schnelle und kostengünstige Daten- und Kommunikationswege sind entscheidend für die immer größeren Datenmengen, die ausgetauscht werden. Sei es das Streaming von Videos oder Musik oder der Datenfluss zwischen Produktionsstandorten oder Maschinen. Die Hardware schafft jedoch nur die technischen Voraussetzungen, ihre positive Wirkung entfaltet sie aber erst, wenn sie von Verbrauchern und Unternehmen richtig genutzt wird. Daher spielen der Grad der Nutzung und die Fähigkeit der Bevölkerung, mit diesen Technologien umzugehen, sowie der Grad der digitalen Transformation in den Unternehmen bzw. deren Nutzung von Big Data eine zentrale Rolle. Nicht zuletzt können staatliche Verwaltungsakte durch diese Technologien beschleunigt und damit bürokratische Hürden abgebaut werden. Einheitliche Systeme in den Verwaltungen und Schnittstellen zu den Nutzern zeichnen einen modernen Staat aus.
Deutschland hat die Digitalisierung verschlafen. Das wurde nicht erst mit der Corona-Pandemie deutlich. Zu lange hat die Politik viel versprochen und zu wenig getan. Selbst die Ampel-Koalition, die sich die Digitalisierung auf die Fahnen geschrieben hat, will nun an dieser Stelle sparen. So soll laut einem Bericht des Spiegels der Posten im Bundeshaushalt von 377 Millionen Euro auf 3,3 Millionen Euro (2. August 2023) gekürzt werden. Mit einem Wert von 43,2 Punkten (Rang 42) liegt Deutschland bei der Digitalisierung weit hinter den USA (Rang 16 mit 69,7 Punkten) und China (Rang 8 mit 81,8 Punkten)
- Steuern
Wie wichtig die Steuerlast für Unternehmen als Standortfaktor ist, zeigen die zahlreichen Verlagerungen von Firmenzentralen nach Irland. Gleichwohl geht damit nicht immer eine Verlagerung der Produktion einher. Oft sind es die Firmenzentralen, die aus steuerlichen Gesichtspunkten nach Irland ziehen. Mit Blick auf die USA sieht das Bild schon anders aus. Die massiven Steuergutschriften im Rahmen des Inflation Reduction Act stellen einen massiven Anreiz für Investitionen dar.
Betrachtet man die Steuerbelastung der Unternehmen, so schneidet Deutschland tatsächlich schlecht ab (Rang 59 mit 36,1 Punkten). Im internationalen Ranking dominieren die USA und China aber nicht, doch mit jeweils 47,4 Punkten schneiden sie deutlich besser als Deutschland ab und teilen sich Rang 37.
- Arbeitsmarkt
In Sachen Arbeitsmarkt kommen gleich mehrere Problemfelder zusammen: die Lohnkosten, die Verfügbarkeit von Arbeitskräften und die Regulierung des Arbeitsmarktes. Deutschland ist schon seit langem ein Hochlohnland. Solange aber die Produktivität, also die produzierte Menge je Arbeitnehmer, hoch ist, können die Unternehmen damit leben. Hier liegt Deutschland noch auf einem befriedigenden Platz, doch die aufstrebenden Volkswirtschaften holen spürbar auf. Gravierender ist das Problem der Arbeitskräfteknappheit. Diese wird sich angesichts des Alters der Beschäftigten und der demographischen Entwicklung deutlich verschlechtern. Ein Ausgleich durch eine längere Lebensarbeitszeit ist derzeit politisch nicht durchsetzbar. Potenzial gäbe es bei der Jahresarbeitszeit, wo Deutschland auf dem vorletzten Platz liegt. Doch die aktuelle Diskussion um eine Vier-Tage-Woche läuft gerade in die entgegengesetzte Richtung. Bei der Arbeitsmarktregulierung gewinnt Deutschland keine Lorbeeren, muss sich aber auch nicht verstecken. Insgesamt schneidet Deutschland aber in dieser Kategorie mit dem drittletzten Platz und einem Score von 12,6 Punkten sehr schwach ab. China schafft es mit 40,7 Punkten auf Rang 43, die USA sogar auf Rang 8 (83,8 Punkte).
- Energie
Eine Industrienation wie Deutschland hat trotz aller bisherigen Sparmaßnahmen einen ausgeprägten Energiehunger. Kein Wunder also, dass die Verfügbarkeit und die Kosten von Energie ein wichtiges Argument im Standortwettbewerb sind. Dabei schauen wir nicht nur auf die Kosten der fossilen Energieträger, sondern auch auf den Anteil der erneuerbaren Energien, denn diese sind der Weg, um die steigenden Preise der fossilen Energieträger zu kompensieren. Neben den Kosten spielt aber auch die Energiesicherheit eine wichtige Rolle, die wir in Form von Übertragungsverlusten beim Strom berücksichtigen.
Schon lange klagen die deutschen Unternehmen über die hohen Energiekosten, insbesondere beim Strom. Mit dem russischen Krieg gegen die Ukraine hat sich der Wettbewerbsnachteil sogar noch vergrößert, zu groß war Deutschlands Abhängigkeit von russischen Energieträgern. Das größte Pfund, mit dem Deutschland wuchern kann ist die Qualität der Energieinfrastruktur. Die reinen Zahlen lassen allerdings Probleme wie den schleppenden Ausbau der Energieinfrastruktur (z.B. SuedLink) außer Acht. Alles in allem ist es nicht überraschend, dass Deutschland im internationalen Ranking nur auf Platz 60 mit mageren 11,3 Punkten landet. China und die USA liegen mit Werten von 88,7 Punkte bzw. 85,0 Punkte auf den Plätzen sieben und acht.
Fazit – Es gibt viel zu tun, jetzt!
Nicht alles ist schlecht in Deutschland, konstatiert die Deka Bank in ihrem Fazut. Deutschland punktet demnach mit seinem politischen System und einem starken Finanzsektor. Auch der Forschungsstandort und die Marktgröße können als Argumente für Investitionen herangezogen werden, und manches – wie die Infrastruktur – scheint sogar besser zu sein als sein Ruf. Doch selbst in diesen Bereichen verschlechtert sich nach Einschätzung des zitierten Instituts die deutsche Position durch Versäumnisse der hiesigen Politik und durch wachstumsfördernde Maßnahmen in vielen anderen Ländern. Letztlich dominierten daher die Problemzonen das Bild Deutschlands. Bei der Digitalisierung verlaufe der Infrastrukturausbau und die Umsetzung in den Unternehmen zu schleppend. Hinzu kämen zu hohe Energie- und Arbeitskosten, ein Arbeitskräftemangel und eine zu hohe Steuerbelastung
Die Ergebnisse der hauseigenen Analyse deckt sich den Angaben zufolge auch mit einer aktuellen Unternehmensumfrage von Kantar im produzierenden Gewerbe. Mit einer Schulnote von 3,3 wird dem Standort nur ein mittelmäßiges Zeugnis ausgestellt. Überdurchschnittlich schneiden dabei die Nähe zu Absatzmärkten, die Infrastruktur und Verkehrsanbindung sowie die politischen Rahmenbedingungen ab. Großzügig kann man die Bewertung der Digitalisierung, des Lohnkostenniveaus und der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen noch als durchschnittlich bezeichnen. Klar unterdurchschnittlich schneiden die Verfügbarkeit von Fachkräften, die Energiepreise- und Verfügbarkeit sowie die regulatorischen Rahmenbedingungen ab. Insgesamt schätzen 61% der befragten Unternehmen die Standortbedingungen in den nächsten Jahren als weniger oder gar nicht attraktiv ein.
Umfragen und Indikatoren zeichnen ein Bild akuten, politischen Handlungsbedarfs, so die Deka Bank. Zu lange habe man sich auf den Lorbeeren der Agenda-Reformen ausgeruht. Das sei zu wenig, denn im internationalen Standortwettbewerb bedeutet Stillstand Rückschritt, weil viele konkurrierende Standorte an einer Verbesserung der Produktionsbedingungen arbeiten. Derzeit bestehe die große Gefahr, dass die Standortdiskussion hinter den Herausforderungen der Klimapolitik aus dem Blick gerate, zumal der Druck seitens der Wähler angesichts der geringen Arbeitslosigkeit noch nicht hoch genug sei. Solange die Politik aber nicht handele, müsse man sich auf eine Phase schwachen Wachstums einstellen.
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